Samstag, 31. Mai 2008

Jemen - Proteste, Anschläge, Sezessionsbewegungen

Der Jemen ist in den letzten Monaten von einer ganzen Reihe von Protesten, Anschlägen und Aufständen erschüttert worden. Die Regierung in Sanaa sieht sich im Nordjemen von einer Sezessionsbewegung der Zaiditen bedroht. Die Zaiditen sind eine eigene Religionsgemeinschaft innerhalb des schiitischen Islams, die bis zu ihrem Sturz 1962 in den Bergen des Nordjemen herrschten. Etwa jeder 4. Jemenit gehört dem zaiditischen Glauben an.

Bis heute ist der Norden des Landes eine der ärmsten Regionen des Nahen Ostens. Seit 4 Jahren führt eine zaiditische Rebellenbewegung unter der Führung des Stammesführers Abd al-Malik al-Huthi einen Guerillakrieg gegen die Zentralregierung unter dem autoritär herrschenden Präsidenten Ali Abdullah Salih. Dieser beschuldigt Libyen und den Iran die Aufständischen auszurüsten und finanziell zu unterstützen. Seit 2004 sind hunderte Menschen bei Anschlägen, Angriffen auf Polizeistationen und Vergeltungsschlägen der jemenitischen Armee getötet worden. Ziel der Bewegung ist die Wiedererrichtung eines zaiditischen Imamats im Nordjemen, wie es vor 1962 existierte.

In den letzten Wochen sind verstärkt Moscheen zum Ziel von Anschlägen geworden, hinter denen die zaiditischen Rebellen stecken sollen. Am 2.Mai kamen bei einem Bombenanschlag auf eine zaiditische Moschee in Saadah nahe der Grenze zu Saudi-Arabien 18 Menschen ums Leben. Gestern erschoss ein Zaidit während des Freitagsgebets 8 Menschen in der Kleinstadt Kohal. Anschließend ergab er sich widerstandslos der Polizei.

Die Hintergründe dieser Anschlagswelle sind unklar. Die Regierung beschuldigt al-Huthis Anhänger hinter den Attentaten zu stecken, dieser bestreitet jede Beteiligung und machte seinerseits die Armee für den Bombenanschlag Anfang Mai verantwortlich. Zugleich kündigte Hauthi eine Ausweitung seines Kampfes auf andere Landesteile an.

Auch im Süden des 1990 wiedervereinigten Landes kommt es immer wieder zu Aufständen und Protesten. Auch hier fühlen sich viele Stämme von der Regierung in Sanaa vernachlässigt, obgleich die Region die erdölreichste des Jemen ist. In den letzten Wochen entzündete sich der Protest an der Weigerung der Armee Rekruten aus dem Süden in angemessener Zahl aufzunehmen. Außerdem forderten Demonstranten mehr staatliche Hilfe für ehemalige staatliche Bedienstete des Südjemens und zeigten dabei die Flagge der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen. Bei Ausschreitungen kamen seit Jahresanfang Dutzende Menschen ums Leben.

Erst gestern machte zudem al-Qaida im Jemen wieder auf sich aufmerksam. Mitglieder des Terrornetzwerks sollen zwei Katyusha-Raketen auf eine Ölraffinerie in Aden abgefeuert haben. Einen Tag zuvor hatten die Behörden die Festnahme von 11 mutmaßlichen al-Qaida-Anhängern gemeldet. Im März verfehlten Raketenangriffe der al-Qaida nur knapp die US-Botschaft in Sanaa. 13 Mädchen wurden in einer nahegelegenen Schule verwundet.

Der Staat im Süden der arabischen Halbinsel ist einer der ärmsten und korruptesten in der Welt. Die Vergaben von Geldern und Posten hängt oft von der Herkunft und der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie ab. In den Regionen die hierbei zu kurz kommen, dürfte auch in Zukunft keine Ruhe einkehren.

Freitag, 30. Mai 2008

Bahrain ernennt Jüdin zur Botschafterin in den USA

Bahrains König Hamad hat eine Jüdin zur neuen Botschafterin in den Vereinigten Staaten ernannt. Die 43-jährige Houda Ezra Nonoo ist Präsidenten der Bahrain Human Rights Watch Society und seit drei Jahren Abgeordnete im Shura-Rat, einem 40-köpfigen Gremium, das dem König beratend zur Seite steht. Vor ihrer Karriere in der Politik war die Mutter von zwei Söhnen eine erfolgreiche Geschäftsfrau in der Finanz- und Computerbranche.

Nonoo ist damit die erste jüdische Botschafterin eines arabischen Staates. Die Politikerin betonte jedoch, dass ihre Ernennung nicht auf Grund ihrer Religion erfolgt sei. Sie fühle sich durch die Entscheidung des Königs geehrt und freue sich auf die Herausforderungen, die die neue Rolle mit sich brächte.

Seit Jahrhunderten leben Juden in Bahrain und die jüdische Gemeinde in dem Inselstaat am Golf gilt als eine der Ältesten der Welt. Zur Zeit der Staatsgründung Israel lebten Schätzungen zufolge zwischen 800 und 2000 Juden in Bahrain. In Folge anti-semitischer Übergriffe floh die Mehrzahl von ihnen nach Israel oder in die USA.

Die designierte Botschafterin macht dafür jedoch ausländische Mächte verantwortlich. Viele Bahrainis hätten ihren jüdischen Nachbarn Schutz gewährt. Heute zählt die jüdische Gemeinschaft in Bahrain, dem einzigen Golfstaat mit einer Synagoge, nur noch etwa 50 Mitglieder. Reisen nach Israel sind ihnen verboten. Einen Rabbi müssen die Juden zu feierlichen Anlässen aus Europa einfliegen lassen.

Fast alle jüdischen Bahrainis gehören zur Familie Nonoo die vor etwa 100 Jahren aus dem Irak nach Bahrain übersiedelte. Heute sind die Nonoos als erfolgreiche Geschäftsleute gern gesehene Gäste des Königs Hamad bin Isa al-Khalifa. Neben Huda ernannte der Monarch ein weiteres Mitglied der Nonoo-Familie in den beratenden Shura-Rat.

Erst vor wenigen Tagen sorgten Berichte in Bahrain für Schlagzeilen, nach denen die Familie Nonoo vom König persönlich beauftragt worden sei, mit jüdischen Familien, die in den letzten Jahrzehnten ihre Heimat verließen, über eine Rückkehr nach Bahrain zu verhandeln. Ihnen sollen die vollen staatsbürgerlichen Rechte gewährt werden.

Donnerstag, 29. Mai 2008

Ammar al-Hakim in Berlin: "Mehr deutsches Engagement im Irak"


Ammar al-Hakim, Vize-Chef des schiitischen Obersten Islamischen Rates im Irak (SIIC) weilt derzeit zu politischen Gesprächen in Berlin. Im Rahmen seines Deutschland-Besuchs war al-Hakim heute Vormittag Gast einer Diskussionsrunde an der Hertie School of Governance im ehemaligen Staatsratsgebäude.

Der 36-Jährige Ammar ist der Sohn von Abdulaziz al-Hakim, dem Vorsitzenden des SIIC, der die größte Fraktion im irakischen Parlament stellt. Abdulaziz ist vor einem Jahr schwer an Lungenkrebs erkrankt und musste sich seither mehreren Chemotherapien unterziehen, so dass Ammar seit Mai 2007 die Geschicke des Obersten Islamischen Rats im Irak leitet.

Bis zum Sturz Saddam Husseins verbrachte Ammar al-Hakim fast sein ganzes Leben im iranischen Exil. Sein Vater baute dort zusammen mit seinem im August 2003 in Najaf ermordeten Onkel Ayatollah Mohammed Baqir al-Hakim den Obersten Islamischen Rat und deren bewaffneten Arm, die Badr-Bewegung auf.

Vom Iran aus machte sich die von der Familie Hakim getragene Bewegung für einen islamischen Staat nach iranischem Vorbild im Irak stark. Nach der amerikanischen Invasion des Irak und der Rückkehr aus dem Exil mäßigte sie ihren Standpunkt, auch um sich die Unterstützung der USA zu sichern. Inzwischen äußert die Bewegung nach außen ihre Unterstützung für einen multi-konfessionellen demokratischen Irak. Deutlich machte man dies im Mai 2007, als die Umbenennung der Bewegung von "Oberster Rat für die Islamische Revolution im Irak" (SCIRI) zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (SIIC) bekanntgegeben wurde.

Mit großem Geschick haben es die Hakims geschafft, sich sowohl das Wohlwollen der USA als auch die finanzielle und militärische Unterstützung des Iran zu sichern. Die Badr-Miliz des SIIC wird von den Amerikanern als schiitisches Gegengewicht zur Jeish al-Mahdi von Muqtada al-Sadr geschätzt. Muqtada al-Sadr und Ammar al-Hakim sind im gleichen Alter, ihr öffentliches Auftreten könnte unterschiedlicher jedoch kaum sein. Während Muqtada zumeist im südirakischen Dialekt redet, parlierte Ammar in Berlin im geschliffenen Hocharabisch.

Nach einem kurzen Abriss der irakischen Geschichte seit dem Leben Adams und der Landung der Arche Noah an der irakischen Küste sprach al-Hakim vor knapp 50 Zuhörern, darunter einem Kamerateam des zum SIIC gehörenden Fernsehsenders al-Furat, zunächst über die Tyrannei des Saddam-Regimes. 5 Millionen Menschen seien unter seiner Herrschaft ums Leben gekommen, darunter allein 63 Mitglieder der Familie Hakims, vom Säugling bis zum 80-jährigen Greis. Selbst wenn man die Toten des Ersten Golfkriegs auf irakischer und iranischer Seite mit einrechnet, erscheint die Zahl von 5 Millionen Opfern Saddams sehr hoch gegriffen.

Über die US-geführte Invasion des Irak sagte al-Hakim: "Saddams Regime wurde in einer Art gestürzt, die uns nicht gefallen hat. Sie befreite uns aber vom schrecklichsten Diktator, den die Welt je gesehen hat." Dennoch betonte der Mann mit dem schwarzen Turban, der ihn als Sayyed, einen direkten Nachfahren des Propheten Muhammad ausweist: "Kein Iraker ist glücklich über die US-Soldaten im Irak."

Nach dem Einmarsch der Amerikaner habe das irakische Volk 2 Möglichkeiten gehabt. "Wir hätten der US-Armee den Schlüssel für unser Land in die Hand drücken und uns alle ins Exil begeben können, bis sie aus dem Land abziehen. Oder wir sagen: Das ist unser Irak, unser Land, unsere Heimat, in der wir bleiben und zu deren Wohl wir arbeiten wollen. Wir haben uns für die 2. Möglichkeit entschieden."

Egal ob bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen ein Demokrat oder ein Republikaner ins Weiße Haus gewählt werde, zeigte sich al-Hakim zuversichtlich, dass der neue Präsident erkenne, dass gegenseitige Unterstützung wichtiger sei als militärische Präsenz. Wenn die irakische Armee die Sicherheit im Zweistromland gewährleisten könne, sollte die US-Armee abziehen. Einen festen Zeitplan für einen Abzug der US-Truppen forderte der 36-Jährige nicht. Auch das Wort "Besatzung" vermied al-Hakim tunlichst und sprach stattdessen stets von "militärischer Präsenz".

Zum innerschiitischen Konflikt mit der Sadr-Bewegung erklärte al-Hakim, die schiitischen Parteien müssten einen Rahmen finden, ihre Streitigkeiten ohne Waffen zu lösen. Im Kern gehe es in dem Machtkampf um die Einstellung gegenüber der Präsenz der amerikanischen Armee im Irak. Die Sadr-Bewegung mache deren Abzug zur Voraussetzung für eine Lösung der innenpolitischen Probleme, während der SIIC der Ansicht sei, dass diese unabhängig von der US-Präsenz angegangen werden müssten.

Nach dem Umsturz im Irak haben sich die verschiedenen irakischen Volksgruppen auf die Bildung einer Demokratie geeinigt, in der nicht die Mehrheit herrsche sondern in der über Streitfragen ein Konsens erzielt werden solle. Grundproblem sei jedoch das fehlende Vertrauen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften. "Die schiitische und kurdische Mehrheit fürchtet die Vergangenheit, die sunnitische Minderheit fürchtet die Zukunft.", fasste al-Hakim die gegenwärtige Situation zusammen.

Besonders unter den verschiedenen sunnitischen Partien schwele ein ständiger Streit um Ressorts und Posten in der Regierung. Tareq al-Hashemi, Vize-Präsident des Irak, wolle sich an der Regierung beteiligen, andere Kräfte innerhalb des sunnitischen Blocks machten immer wieder Rückzieher.

Westlichen Medien warf Ammar al-Hakim vor, ein einseitiges Bild von der Lage im Irak zu zeichnen. Das Zusammenleben der Irak laufe immer besser "und an der Sicherheitslage arbeiten wir." Mit der irakischen Wirtschaft gehe es weiter aufwärts, die Arbeitslosenquote sei von 55% auf 16% gedrückt worden.

Unverständnis äußerte der Politiker für das Zögern der Bundesrepublik beim Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Irak. Auch wenn deutsche Staatsbürger im Zweistromland gekidnappt worden seien, dürfe dies kein Hinderungsgrund für ein stärkeres Engagement Deutschlands sein. Um die Deutschen zu größerer Kooperation mit dem Irak zu ermuntern, machte al-Hakim folgende Rechnung auf. "In Deutschland sterben jedes Jahr tausende Menschen im Straßenverkehr. Auch im schlimmsten Fall werden bei einem größeren Engagement deutscher Firmen im Irak weitaus weniger Menschen sterben."

Wirtschaftlicher Wettbewerb sei essentiell für die Entwicklung des Irak. Unter Saddam seien alle Betriebe und Unternehmen vom Staat kontrolliert worden, was dazu geführt habe, dass der irakische Staat nun 4 Millionen Pensionäre zu versorgen habe.

Enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zum Nachbarland Iran seien im Interesse aller Iraker, so al-Hakim. Ein Problem seien indessen die Beziehungen zu den arabischen Regimen. Sie fürchteten das neue demokratische System im Irak und die starke Präsenz der Schiiten in der Regierung in Bagdad, da die Schiiten in den arabischen Ländern unterdrückt würden. Auch wenn al-Hakim dies nicht expliziert sagte, wird deutlich, dass sich dieser Vorwurf in erster Linie an Saudi-Arabien richtete, das seine schiitische Minderheit unterdrückt.

Eben wegen der arabischen Reserviertheit, zeige der Iran ein umso größeres Engagement im Irak. Der irakischen Regierung müsse es nun gelingen einen Ausgleich zwischen den Interessen der arabischen Nachbarn, der Türkei, des Iran und der USA zu schaffen.

Auf das iranische Atomprogramm angesprochen, erklärte al-Hakim, jeder Staat habe das Recht zur zivilen Nutzung der Nuklearkraft. Atomwaffen dienten hingegen nicht der Konfliktlösung und sollten weltweit abgeschafft werden. Einen möglichen Angriff der USA auf den Iran von irakischem Boden werde der Irak auf keinen Fall zulassen. An Beziehungen zu Israel habe gegenwärtig "kein Iraker" Interesse.

In seinem Schlusswort erklärte Ammar al-Hakim, er hoffe auf die Entwicklung eines freien und prosperierenden Irak und lud alle Diskussionsteilnehmer zu einem Besuch seines Landes ein.

(Foto: Getty Images)

Dienstag, 27. Mai 2008

Der Südsudan am Rande des Bürgerkriegs?

Drei Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Naivasha steht der Südsudan erneut am Rande eines Bürgerkriegs. So äußerte sich jedenfalls der stellvertretende Vorsitzende des Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM), Pagan Amum, gestern. Zuvor war es in dem Gebiet um die Stadt Abyei zu den schwersten Kämpfen zwischen der sudanesischen Armee und örtlichen Rebellengruppen seit dem Friedensschluss im Januar 2005 gekommen.

Das Gebiet um Abyei mit seinen Erdölvorräten und weitläufigen Weidegründen liegt genau an der Grenze zwischen dem Nordsudan und dem autonomen Süden. Zwischen der SPLM und der Regierung in Khartoum herrscht Uneinigkeit darüber, ob die Region an dem Referendum, indem die Bewohner des Südsudan 2011 über ihre Unabhängigkeit entscheiden sollen, teilnehmen darf. Gemäß des Friedensabkommens von Naivasha sollten die Bewohner Abyeis dann bestimmen, ob sie sich dem Norden oder dem Süden anschließen wollten.

SPLM-Vize Pagan Amum beschuldigt die sudanesische Regierung schwerer Verbrechen in Abyei. "Sie verüben eine ethnische Säuberung. Sie haben mehr als 100000 Menschen vertrieben, ihre Dörfer niedergebrannt und all ihr Eigentum geplündert." Auch Flüchtlinge erklärten, das Regime in Khartoum wolle mit seinen Angriffen, das rohstoffreiche Gebiet für den Norden sichern. Viele der nun Vertriebenen waren erst in den vergangenen 3 Jahren in ihre Heimat zurückgekehrt.

Das Vorgehen der sudanesischen Armee sei ein "klarer Hinweis dafür, dass sie eine Endlösung für die Abyei-Frage suchen, indem sie die Menschen töten und vertreiben.", so Amum weiter. Er fordert eine Entmilitarisierung des Gebiets. Gemäß dem Abkommen von Naivasha sollten die Blauhelme der UNMIS-Mission in der Region um Abyei patroullieren und die Sicherheit garantieren. Sowohl die sudanesische Armee als auch die SPLM haben dies bislang verhindert.

Die SPLM ist zwar an der Regierung in Khartoum beteiligt, eine funktionierende Zusammenarbeit zwische ihr und der Nationalen Kongresspartei (NCP) von Staatschef Umar al-Bashir findet jedoch praktisch nicht statt. SPLM-Chef Salva Kiir drohte in der Vergangenheit mehrfach mit einem Bruch der Koalition, da die NCP die Umsetzung des Friedensvertrages sabotiere und warnte vor einem neuen Krieg.

Sollten sich die Kämpfe von Abyei aus auf andere Teile des Südsudan ausbreiten droht in der Tat ein Wideraufflammen des Bürgerkriegs, der von 1983 bis 2005 knapp 2 Millionen Menschen das Leben kostete und mehr als 4 Millionen zu Flüchtlingen machte.

Montag, 26. Mai 2008

Qatars Einfluss im Nahen Osten wächst

Das Doha-Abkommen, mit dem der Machtkampf im Libanon vorerst beigelegt wurde, unterstreicht den wachsenden Einfluss des Golfstaats Qatar innerhalb der Länder des Nahen Ostens. Das Emirat schickt sich an, politischen Schwergewichten wie Ägypten und Saudi-Arabien auf dem Feld der Diplomatie den Rang abzulaufen.

Das Herrscherhaus der Familie al-Thani hat es in den vergangenen Jahren verstanden zu den rivailisierenden Fraktionen und Regionalmächten sowie den USA gleichermaßen gute Beziehungen aufzubauen und sich den Ruf eines ehrlichen Maklers zu erarbeiten. So ist Qatar zum einen der Sitz des Hauptquartiers der US-Truppen im Nahen Osten, zum anderen verfügt Doha über gute Beziehungen zum Iran. Im vergangenen Dezember war der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad während des Gipfeltreffens des Golfkooperationsrats (GCC) zu Gast in Qatar.

Seit 12 Jahren gibt es in der Hauptstadt des Emirats ein israelisches Handelsbüro, in dem israelische Diplomaten tätig sind, auch wenn Qatar und Israel offiziell noch keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. Im April war Außenministerin Tzipi Livni Gast eines Demokratieforums in Doha.

Gleichzeitig verfügt Familie al-Thani über gute Beziehungen zur Hamas und zur Hizbollah. Als einziger arabischer Staat neben Syrien lobte Qatar die Hizbollah nach dem Zweiten Libanonkrieg im Sommer 2006 für ihren "Widerstand" gegen Israel und beglückwünschte die schiitische Bewegung zum ersten arabischen Sieg gegen Israel. Schon wenige Wochen nach Kriegsende begann Qatar den Wiederaufbau zerstörter Dörfer im Südlibanon finanziell und logistisch zu unterstützen und arbeitete dabei eng mit der Hizbollah zusammen.

Die guten Kontakte der Qataris zu allen regionalen Akteuren waren entscheidend für einen Erfolg der inner-libanesischen Verhandlungen in Doha. Die natürlichen arabischen Führungsmächte Saudi-Arabien und Ägypten kamen hierfür kaum in Frage, da ihre Regierungen einseitig für das Regierungslager im Libanon Partei ergriffen hatten.

Eine Rolle dürfte auch gespielt haben, dass Qatar als Öl- und Gasexporteur über die nötigen finanziellen Mittel verfügt derartige Abkommen zu erleichtern. Schon wird darüber spekuliert, dass Familie al-Thani mit üppigen Geldzahlungen die rivalisierenden Parteien im Libanon zu einer Einigung bewegt zu haben.

Auch bei den Konflikten zwischen Hamas und Fatah in Palästina, dem Krieg in Darfur, sowie den ständigen Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Kräften in Somalia hat Doha in der Vergangenheit versucht zu vermitteln - hier jedoch mit weniger Erfolg.

Mit derartigen diplomatischen Initiativen versucht Qatar sein Profil im Wettstreit der wirtschaftlich aufstrebenden Golfstaaten zu schärfen. Für den Staat, der nur halb so groß ist wie Hessen und in dem weniger als eine Million Menschen leben, ist die politische Stabilität der Region besonders wichtig; auch deshalb ist das Emirat um einen Ausgleich zwischen dem Iran und den USA bemüht.

Freitag, 23. Mai 2008

Syrisch-Israelische Verhandlungen in der Türkei

Am Mittwoch haben israelische und syrische Regierung offiziell bestätigt, dass sie unter türkischer Vermittlung Friedensverhandlungen aufgenommen haben. Beide Seiten zeigten sich zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Gepräche und einigten sich auf eine neue Verhandlungsrunde die innerhalb der nächsten 10 Tage in Istanbul beginnen soll.

Im Jahre 2000 waren Friedensgespräche unter der Schirmherrschaft der USA zwischen den beiden Staaten, die sich offiziell noch immer im Krieg untereinander befinden, gescheitert. Hauptstreitpunkt zwischen Syrien und Israel ist die Rückgabe der Golanhöhen, die im 6-Tage-Krieg 1967 vom jüdischen Staat besetzt und 1981 annektiert wurden.

Während und nach dem 6-Tage-Krieg flüchteten fast alle muslimischen Bewohner des Gebirgszuges nach Syrien, während ein Großteil der auf dem Golan lebenden Drusen in der Heimat blieb. Allerdings haben seither weniger als 30% der 20000 Drusen die ihnen angebotene israelische Staatsbürgerschaft angenommen und stattdessen ihre syrischen Pässe behalten. Viele leben in dem Widerspruch, sich auf der einen Seite mit Syrien zu identifizieren, andererseits jedoch die Vorzüge der prosperierenden israelischen Wirtschaft zu genießen.

Knapp 20000 jüdische Siedler leben auf den Golanhöhen. Der Widerstand gegen eine Rückgabe des knapp 1200 Quadratkilometer großen Gebietes in der israelischen Bevölkerung ist groß. Laut einer jüngsten Umfrage lehnen mehr als zwei Drittel der Israelis eine Aufgabe des Golan ab. Der Gebirgszug ist von strategischer Bedeutung, da von hier aus weite Teile Nordisraels mit Artillerie beschossen werden könnten und wichtige Wasserläufe im Golan entspringen, die die Hauptquelle für die Trinkwasserversorgung Israels sind. Zudem sind die Golanhöhen mit dem einzigen Skiresort Israels am Fuße des Berg Hermon zu einem beliebten Urlaubsziel der Israelis geworden.

Als Reaktion auf die Bekanntgabe der laufenden Verhandlungen mit Syrien, haben Abgeordnete der israelischen Knesset eine Gesetzesinitiative gestartet, die eine Zustimmung zu einem Friedensvertrag mit Syrien von einem Referendum abhängig macht. Die israelische Opposition wirft Ministerpräsident Ehud Olmert zudem vor, mit den Gesprächen lediglich von den gegen ihn in die Wege geleiteten Korruptionsverfahren ablenken zu wollen.

Auch die USA reagierten bislang sehr reserviert auf die Bekanntgabe der Friedensgespräche. Man erhebe keine Einwände gegen die Verhandlungen in der Türkei, wiederholte jedoch die Anschuldigungen an Syrien Terrorgruppen zu unterstützen.

Außenministerin Tzipi Livni machte die Bedingungen für einen Frieden mit Syrien deutlich. Damaskus müsse seine Unterstützung für die Hamas und die Hizbollah einstellen und seine Allianz mit dem Iran aufgeben. Teheran selbst hat sich bislang noch nicht offiziell zu den Gesprächen geäußert.

Syrische Regierungsvertreter betonten, Syrien habe ein natürliches Recht auf die Golanhöhen. Dennoch ist bislang unklar, wie die Gebirgsregion nach einem israelischen Rückzug aussehen solle. Wahrscheinlich ist die Errichtung einer "demilitarisierten Zone", die von der syrischen Armee nicht genutz werden darf. Im Gespräch ist außerdem die Errichtung eines "Friedensparks" unter syrischer Souveränität, der jedoch von Israelis ohne Visum besucht werden darf.

Mittwoch, 21. Mai 2008

Abkommen von Doha soll Konflikt im Libanon lösen

Nach mehrtägigen Verhandlungen in Qatar haben sich libanesische Regierung und Opposition auf ein Abkommen geeinigt, das den seit 19 Monaten schwelenden Machtkampf beilegen soll. Im Kern einigen sich beide Konfliktparteien auf folgende Punkte:

  • Wahl des Armee-Chefs Michel Suleiman zum neuen Staatspräsidenten am kommenden Sonntag
  • Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit mit 30 Ministern; 16 Minister werden von der Regierung nominiert, 3 von Präsident Suleiman, 11 stellt die bisherige Opposition
  • Einführung eines neuen Wahlrechts, das auf dem Wahlgesetz von 1960 fußt und zu kleineren Wahlkreisen führt
  • die Waffen der Hizbollah bleiben unangetastet, es wird jedoch keiner libanesischen Gruppe gestattet, ihre Waffen in innner-libanesischen Konflikten einzusetzen
Durch das Abkommen von Doha werden wesentliche Forderungen der Opposition erfüllt. Die Forderung nach einem Drittel der Kabinettsposten wurde seit dem Rückzug der schiitischen Minister aus der Regierung im November 2006 erhoben. Nach Großdemonstrationen, der Errichtung einer Zeltstadt im Zentrum Beiruts, der weitgehenden politischen und wirtschaftlichen Lähmung des Landes und schließlich der Einnahme West-Beiruts haben die Hizbollah und ihre Juniorpartner dieses Ziel erreicht und können fortan jede Regierungsentscheidung blockieren.

Auch die Einführung eines neuen Wahlrechts war eine Kernforderung der Opposition, gegen die sich das Regierungsbündnis und auch das Oberhaupt der maronitischen Kirche im Libanon, Patriarch Nasrallah Sfeir, lange gesträubt hatten. Die mehrheitlich von Schiiten bewohnten Regionen im Südlibanon erhalten durch die Wahlrechtsreform größeres Gewicht. Das Regierungslager konnte bei den Verhandlungen in Doha offenbar dadurch zur Zustimmung bewegt werden, dass die Wahlkreise in Beirut so zugeschnitten werden, dass sich die sunnitische Mustaqbal-Bewegung von Saad Hariri einer Mehrheit der Mandate dort sicher sein kann.

Die seit dem 1. Dezember 2006 in Downtwon Beirut existierende Zeltstadt der Opposition wird zur Stunde abgebaut und soll bis Mitternacht verschwunden sein. Parlamentssprecher Nabih Berri bezeichnete diesen Schritt als ein "Geschenk der Opposition".

Wichtigstes Ergebnis des Doha-Abkommens ist, dass es den Libanesen, die den Machtkampf und die Spannungen in ihrem Land leid sind, eine Atempause verschafft. Entsprechend euphorisch klangen die Schlagzeilen der libanesischen Zeitungen heute. Die größte Zeitung des Landes "al-Nahar" titelte: "Wir gratulieren dem Libanon zu der Einigung", "al-Akhbar" schreibt gar von "einer neuen Seite", die im Libanon aufgeschlagen werde.

Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es vollkommen ungewiss ist, ob die Einigung zwischen den rivalisierenden Gruppen von Dauer sein wird. Streitthema ist etwa der Umgang der neuen Regierung mit dem UN-Tribunal, das den Mord an Rafiq Hariri aufklären soll. Für Hariris Mustaqbal-Bewegung hat das Tribunal höchste Priorität; die Hizbollah steht dem ablehnend gegenüber, da sie in dem Verfahren nur ein Mittel sieht, das Syrien diskreditieren und den Vorwand für einen neuen Krieg im Nahen Osten liefern soll.

Ebenso strittig bleibt die Umsetzung der UN-Resolution 1559, die die Entwaffnung der Hizbollah fordert. Werden die Parteien des bisherigen Regierungsbündnisses diese Forderung aufrecht erhalten, droht neuer Streit.

Auf einem anderen Blatt steht, wie die derzeit teilweise erbittert verfeindeten Gruppen, deren Anhänger sich noch vor einer Woche gegenseitig beschossen und massakrierten künftig in einer Regierung vertrauensvoll zusammenarbeiten sollen. Es wäre schon ein großer Erfolg, wenn die neue Regierung der Nationalen Einheit bis zu den Parlamentswahlen 2009 halten würde.

Montag, 19. Mai 2008

3 Berichte zur Krise im Libanon

In den vergangenen Tagen sind von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen Berichte veröffentlicht worden, die den mit Waffen ausgetragenen Machtkampf im Libanon aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten.

Human Rights Watch (HRW) berichtet von Menschenrechtsverletzungen während der Kämpfe im Libanon. So seien Zivilisten in Beirut durch den Beschuss mit Panzerabwehrraketen von Seiten der Oppositionsmilizen getötet worden. Daneben wird von drusischen Anhängern der Fortschrittlichen Sozialistischen Partei berichtet, die über mehrere Tage von der Hizbollah entführt und festgehalten worden seien.

Anhängern der Regierungsmilizen wird vorgeworfen, gefangene Oppositionsanhänger misshandelt und offenbar hingerichtet zu haben. Die beiden Konfliktparteien werden aufgefordert, die Menschenrechtsverletzungen in ihren Verhandlungen in Qatar zu thematisieren und die Schuldigen juristisch zu verfolgen.

Der Bericht der Economist Intelligence Unit (EIU) unter dem Titel "Lebanon Politics: Square One?" bezeichnet die jüngsten Kämpfe als die erste Runde eines einsetzenden Bürgerkriegs. Zwar habe die Hizbollah ihre wichtigsten Forderungen durchsetzen können, allerdings habe die schiitische Bewegung dafür einen hohen Preis zahlen müssen, analysiert die EIU.

Im drusischen Choufgebirge sei die Hizbollah auf massiven Widerstand gestoßen, womit deutlich geworden sei, dass die Schiitenmiliz ihr Operationsgebiet nicht zu Lasten rivalisierender Gruppen ausweiten könne. Zudem habe die Bewegung viel Prestige eingebüßt, da sie ihre Waffen erstmals gegen ihre libanesischen Landsleute gerichtet habe.

Ebenso habe die libanesische Armee einen Schlag hinnehmen müssen, da ihre Zurückhaltung im innerlibanesischen Machtkampf von Vielen als Parteinahme für die Hizbollah verstanden wurde. Auch Ministerpräsident Siniora habe seine Schwäche durch die Rücknahme der Regierungsbeschlüsse gegen die Hizbollah offenbart. Insgesamt wertet die EIU die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen beiden Seiten als "sehr begrenzt".

Die bislang ausführlichste Analyse zu den Kämpfen in Libanon präsentierte die International Crisis Group unter dem Titel "Lebanon: Hizbollah’s Weapons Turn Inward". Die ICG bescheinigt der Hizbollah einen deutlichen militärischen Sieg, von dem jedoch äußerst fraglich ist, das er sich in wachsenden politischen Einfluss ummünzen lässt.

In dem jüngsten blutigen Machtkampf sei deutlich geworden, dass sich der Konflikt im Wesentlichen zwischen Sunniten und Schiiten entzündet hat. Genau dieses Bild hat die Hizbollah bislang stets zu verhindern versucht. Für ihren wichtigsten christlichen Verbündeten Michel Aoun werde es nun immer schwieriger seine Allianz mit der Hizbollah zu rechtfertigen.

Doch auch Saad Hariris Future-Bewegung habe durch ihre militärische Niederlage gegen die Oppositionsmilizen an Ansehen verloren und könnte künftig unter wachsendem Druck ihrer sunnitischen Anhänger stehen, militärisch weiter aufzurüsten. Hariris wichtigster Verbündeter Walid Jumblatt sei "demoralisiert und besiegt". Ebenso sei das Ansehen der Armee beschädigt worden.

Um die Lage im Libanon zu stabilisieren müssten sich Regierungslager und Opposition auf einen Konsenspräsidenten einigen und eine Regierung der Nationalen Einheit bilden. Der Status der Hizbollah als bewaffnete Bewegung solle vorerst unangetastet bleiben, allerdings solle die Art und Weise in der diese eingesetzt werden dürfen, in einem Abkommen stark eingegrenzt werden.

Freitag, 16. Mai 2008

Libanon: Verhandlungen in Doha sollen Machtkampf beenden

Die libanesischen Konfliktparteien nehmen heute in Qatars Hauptstadt Doha Verhandlungen auf, die den seit über einem Jahr schwelenden Machtkampf im Libanon beenden sollen. Zuvor verständigten sich Regierung und Opposition unter Vermittlung der Arabischen Liga auf einen 6-Punkte-Plan.

Dieser sieht eine Rückkehr zum Status Quo Ante vor, also die Rücknahme der gegen die Hizbollah gerichteten Regierungsentscheidungen und die Aufhebung der Straßenblockaden im Land. Ziel der Gespräche in Doha soll die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit und die Einigung auf ein neues Wahlgesetz sein. "Gekrönt" werden soll das zu verhandelnde Abkommen mit der Wahl des Armee-Oberbefehlshabers Michel Suleiman zum neuen Präsidenten. Im Gegenzug solle die Zeltstadt der Oppositionsanhänger im Zentrum Beiruts aufgelöst werden.

Der 6-Punkte-Plan der gestern in Beirut von Qatars Außenminister Hamad bin Jasem al-Thani vorgestellt wurde, ruft beide Seiten auf, künftig auf Waffengewalt zu verzichten und von der Aufstachelung zu religiös oder politisch motivierter Gewalt abzusehen. Der Dialog von Doha solle zudem die Ausweitung der Herrschaft der libanesischen Regierung auf das gesamte libanesische Staatsgebiet thematisieren.

Jasem betonte, dass das Abkommen von Taif, in dem 1989 die Machtverteilung nach dem libanesischen Bürgerkrieg festgelegt wurde, unangetastet bleiben solle.

Mit dem 6-Punkte-Plan der Arabischen Liga wurden wichtige Forderungen der Hizbollah und ihrer Verbündeten erfüllt, zuallererst die Rücknahme der Regierungsbeschlüsse hinsichtlich des Kommunikationsnetzes der Hizbollah und der Entlassung des Sicherheits-Chefs des Beiruter Flughafens.

Die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit als Zielvorgabe für die Verhandlungen von Doha erfüllt ebenfalls eine der Forderungen der Opposition. Diese wird darin vermutlich, wie seit über einem Jahr gefordert, mindestens ein Drittel der Ministerposten erhalten und damit ihr Veto gegen alle Kabinettsbeschlüsse einlegen können.

Die Erpressung seitens der Hizbollah scheint aufzugehen. In der vergangenen Woche demonstrierte die Schiiten-Miliz, dass sie gegen alle gegen sie gerichteten Regierungsbeschlüsse notfalls mit Waffengewalt vorgehen werde. Unter diesem Druck war die Regierung nun offenbar bereit, der Opposition eine Sperrminorität im Kabinett einzuräumen.

Die Frage nach der Entwaffnung der Hizbollah ist wurde im 6-Punkte-Plan nicht explizit erwähnt, auch dies kann sie als Erfolg verbuchen.

Die Regierung kann nur darauf hoffen, dass die Opposition durch die Gewalt der letzten Woche viel Kredit bei ihren Anhängern, gerade unter den libanesischen Christen, verloren hat. Sollte dies der Fall sein, könnte das Regierungslager aus den Parlamentswahlen 2009 gestärkt hervorgehen. Vielleicht ist die Regierung daher momentan eher zu Konzessionen an die Opposition bereit.

Derzeit ist noch vollkommen unklar, ob die Gespräche in Doha greifbare Erfolge bringen werden. Im Verlauf des letzten Jahres gab es eine ganze Reihe von Initiativen Frankreichs oder der Arabischen Liga, die letztendlich ergebnislos blieben. Ein Verhandlungserfolg wird nicht zuletzt davon abhängen, ob hinter den Kulissen Syrien und Saudi-Arabien zu einer Verständigung über die Machtverteilung im Libanon gelangen.

Donnerstag, 15. Mai 2008

Das USA-Bild in arabischen Gesellschaften

Bürger arabischer Staaten haben eine negative Einstellung gegenüber den USA. Dies geht aus einer Umfrage hervor, die das Meinungsforschungsinstitut Zogby International im März 2008 unter 4000 Menschen in Marokko, Ägypten, dem Libanon, Jordanien, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten durchgeführt hat.

In jedem dieser 6 Staaten haben mindestens 7 von 10 Befragten eine negative Meinung von den Vereinigten Staaten, in Ägypten und Saudi-Arabien sind es gar 89%. Als Gründe für diese Einstellung gegenüber den USA werden der Irak-Krieg, die Entwicklung des arabisch-israelischen Konflikts und die amerikanische Behandlung von Arabern und Muslimen im Allgemeinen angegeben. Laut James Zogby hat in den vergangenen Jahren besonders die negative Bewertung der US-Rolle im israelisch-palästinensischen Friedensprozess an Gewicht gewonnen.

Nach Ansicht der arabischen Befragten haben der Irak-Krieg und der israelisch-arabische Konflikt negative Auswirkungen auf die Wirtschaft in ihren Staaten. So erklärten beispielsweise 98% der Jordanier, der Krieg im Irak habe die wirtschaftliche Entwicklung in ihrem Land negativ beeinflusst. In den wohlhabenden Emiraten waren immerhin noch 53% dieser Ansicht.

Seit die Zogby-Umfrage vor 6 Jahren erstmals durchgeführt wurde, zeichnet sich ab, dass die Zufriedenheit und der Optimismus unter den befragten Bürgern kontinuierlich abnehmen. In Marokko und Ägypten war einst jeder Zweite der Ansicht, ihm gehe es besser als vor vier Jahren, heute teilen nur 20% diese Meinung. In Saudi-Arabien fiel dieser Wert seit 2002 von 49% auf 34%.

Mit großem Interesse verfolgen die Bürger der untersuchten arabischen Staaten die Präsidentschaftswahlen in den USA. Am größten ist das Interesse im Libanon und in Marokko, wo jeweils etwa die Hälfte der Befragten angab, den Verlauf der Wahlen aufmerksam zu verfolgen. In Ägypten tut dies nur jeder Vierte.

Noch größer ist die Bedeutung, die die Umfrageteilnehmer dem Wahlergebnis in den USA beimessen. 6 von 10 Marokkanern und Jordanier sind der Ansicht, der Wahlausgang habe Bedeutung für die Arabische Welt. In den Vereinigten Arabischen Emiraten sind noch 40% dieser Ansicht.

Mittwoch, 14. Mai 2008

Sudan: Nach dem Rebellenangriff auf Khartoum

Verwirrung herrscht über die Umstände eines Rebellenangriffs auf Sudans Hauptstadt Khartoum am vergangenen Wochenende. Offenbar hatten sich mehrere hundert Kämpfer der "Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit" (JEM) aus Darfur am Samstag Gefechte mit der sudanesischen Armee geliefert. Die Kämpfe ereigneten sich in Omdurman, der Schwesterstadt Khartoums am Westufer des Nils.

Die JEM bestätigte unterdessen, dass es Ziel des Angriffs gewesen sei, Staatschef Umar al-Bashir zu stürzen. Gleichzeitig räumte die Bewegung ihre Niederlage ein. Man habe zwar eine Schlacht verloren, "aber nicht den Krieg", so eine Stellungnahme der Rebellengruppe gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Der Kampf gegen Sudans Regierung werde solange fortgesetzt, bis eine zufrieden stellende Lösung für den Darfur-Konflikt gefunden worden sei.

Völlig unklar ist bislang wie es den vermutlich mehr als 1000 JEM-Kämpfern gelungen ist, unerkannt mit mehreren hundert Fahrzeugen aus der Kriegsregion Darfur in die Nähe der Hauptstadt Khartoum zu gelangen, die mehr als 1000 Kilometer entfernt liegt.

Nach offiziellen Angaben der sudanesischen Behörden wurden mehr als 200 Menschen bei den Kämpfen am Wochenende getötet, unter ihnen mehr als 100 Soldaten und Polizisten. Diktator Bashir beschuldigte das Nachbarland Tschad und Israel der Komplizenschaft bei dem Angriff auf Khartoum. Staaten in denen die JEM Repräsentanzen unterhält, etwa Großbritannien und Libyen, wurden aufgefordert die Rebellenbewegung auf die Liste terroristischer Gruppen zu setzen und ihre Vertreter auszuliefern. Für Hinweise zur Ergreifung des JEM-Anführers Khalil Ibrahim wurde eine Belohnung von 250000 US-Dollar ausgesetzt.

In den Tagen nach dem Rebellenangriff in Omdurman nahm die Polizei mehr als 300 angebliche Verdächtige fest. Der Bekannteste unter ihnen ist Hassan al-Turabi, Mentor der islamistischen Bewegungen im Sudan. Turabi ist ein langjähriger Weggefährte von Staatschef Bashir, überwarf sich in den 90er Jahren jedoch mit selbigem und verbrachte seither mehrere Jahre im Gefängnis. Turabi wurde nach wenigen Stunden freigelassen, andere Führungsfiguren seiner Kongress-Partei sind noch immer inhaftiert.

Nach seiner Freilassung verglich der 75-Jährige das sudanesische Gefängnis mit dem Lager in Guantanamo. "Die Leute werden hier eingesperrt. Warum lassen wir sie nicht frei, wie es die Amerikaner tun?"

Wenig gutes lassen die jüngsten Entwicklungen für die von Krieg und Vertreibung heimgesuchte Provinz Darfur erwarten. Es ist anzunehmen, dass die sudanesische Regierung und die mit ihr verbündeten Milizen ihre Angriffe nun weiter intensivieren werden. In der Vergangenheit reagierte Khartoum auf Rebellenangriffe mit Übergriffen auf Zivilisten in Darfur.

Dienstag, 13. Mai 2008

Erkenntnisse aus den Ereignissen im Libanon

Am 7. Tag der militärischen Konfrontation zwischen der libanesischen Opposition und der Regierung sind die Kämpfe weitgehend abgeflaut. Auch in der zweitgrößten Stadt des Libanon, in Tripoli und in den zum Großteil von Drusen bewohnten Chouf-Bergen, herrscht momentan angespannte Ruhe, nachdem sich rivalisierende Gruppen hier bis in die Nacht bekämpft hatten.

Nach offiziellen Angaben sind bei den Kämpfen bislang 81 Menschen getötet und mindestens 250 Weitere verwundet worden. Beide Konfliktparteien werfen sich gegenseitig Kriegsverbrechen vor. Der libanesische Blogger Darko berichtet von einem Massaker in der Kleinstadt Halba in der Nordprovinz Akkar, dass Milizionäre von Saad Hariris Mustaqbal-Bewegung an Anhängern der SSNP (Syrische Soziale Nationale Partei) verübt hätten. Unter den Augen der Armee seien insgesamt 10 SSNP-Mitglieder per Kopfschuss hingerichtet worden, nachdem sie sich der Mustaqbal-Miliz ergeben hätten. Auf YouTube kursieren grausige Videos verstümmelter Leichen aus Halba die Darkos Aussagen zu stützen scheinen.

Die Armee drohte mittlerweile gewaltsam gegen alle Milizen vorzugehen, die nicht bis heute 6 Uhr von den libanesischen Straßen verschwunden seien. Offenbar scheint diese Drohung Wirkung zu zeigen, auch wenn kaum zu erwarten ist, dass die libanesische Armee ernsthaft in der Lage sein könnte Ruhe und Ordnung im Land herzustellen.

Eine Erkenntnis der vergangenen Woche ist, dass die Armee ziemlich einseitig für die Hizbollah und ihre Verbündeten Partei ergriff und dem Treiben der Opposition in Westbeirut und anderswo weitgehend tatenlos zusah. Spekuliert wird mittlerweile darüber, ob die Armeeführung damit Sympathien für die Opposition erkennen ließ, oder einfach erkannte, dass die Hizbollah übermächtig ist und damit den Schaden in den eigenen Reihen möglichst gering lassen wollte.

Zudem haben die letzten Tagen deutlich gezeigt, dass entgegen aller Beteuerungen praktisch alle Parteien im Libanon eigene Milizen unterhalten. Von der Hizbollah war dies bekannt, doch auch die Mustaqbal-Bewegung, die drusische PSP und andere verfügen offenbar über ein bemerkenswertes Arsenal an Maschinengewehren verschiedenster Bauart und Panzerabwehrraketen.

Deutlich wurde in den letzten Tagen die Schwäche der libanesischen Regierung vor Augen geführt. Innerhalb von 2 Tagen wurden ihre Milizen von der Hizbollah und ihren Alliierten praktisch ausgeschaltet und Ministerpräsident Siniora sah sich gezwungen seine beiden gegen die Hizbollah gerichteten Entscheidungen zurückzunehmen.

Von seinen wichtigsten außenpolitischen Verbündeten Saudi-Arabien und den USA wurde der Regierungschef bislang weitgehend im Stich gelassen. US-Präsident Bush reagierte auf die Stärkung der Hizbollah auf altbekannte Weise und beorderte wie schon im Februar die USS Cole vor die levantinische Küste. Ob die libanesische Regierung die aktuelle Krise wirklich durch Aussitzen und das Ignorieren der Oppositionsforderungen überstehen kann, scheint ungewiss und wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Daneben kristallisierte sich in der vergangenen Woche heraus, dass das Regierungsbündnis "14.März" nicht immer mit einer Zunge spricht. Drusenführer Walid Jumblatt war zunächst vorausgeprescht und hatte die Abschaltung des Telefonnetzes der Hizbollah gefordert. Es waren jedoch mehrheitlich sunnitsche Stadtteile Beiruts, die sich zunächst dem Einmarsch der schiitischen Amal- und Hizbollah-Milizen entgegen sahen. Daraufhin musste Mustaqbal-Führer Saad Hariri einen weitaus konzilianteren Ton anschlagen. Erst nachdem sich die Kämpfe auch auf den Chouf ausweiteten machte Jumblatt einen Rückzieher und erklärte, das Telefonnetz der Hizbollah sei für den Widerstand gegen Israel möglicherweise doch notwendig.

Der blutige Machtkampf hat zudem gezeigt, dass eine Entwaffnung der Hizbollah gegenwärtig illusorisch erscheint. Mehr denn je ist deutlich geworden, dass die libanesische Armee dazu nicht in der Lage ist. Außerdem kann die Schiitenmiliz nun argumentieren, dass es nun offensichtlich sei, dass die Regierungsparteien im Libanon auch eigene Milizen unterhielten, die gleichermaßen zu entwaffnen seien. Dass in der gegenwärtigen Athmosphäre die rivalisierenden Lager im Libanon über dieses Thema zu einer Einigung finden scheint aussichtslos.

Viel hängt nun vom Verhalten der USA und der regionalen Mitspieler im Libanon ab. Von der Initiative der Arabischen Liga ist wenig zu erwarten, da diese von der Opposition als einseitig zu Gunsten der Regierung aufgefasst wird. Eine Stabilisierung des Libanon scheint gegenwärtig nur möglich, wenn Syrien und Saudi-Arabien, die USA und der Iran zu einem Modus Vivendi finden. Die amerikanische Hoffnung auf einen Libanon mit starker pro-westlicher Regierung hat in den vergangenen Wochen einen schweren Rückschlag erlitten.

Montag, 12. Mai 2008

Fotos aus Ägypten

Hier ein Fotoalbum mit Bildern aus Ägypten. Zunächst nur Fotos aus Kairo, Bilder aus Alexandria folgen in den nächsten Tagen.

Ägypten

Samstag, 10. Mai 2008

Pyrrhussieg für die Opposition?

Laut neuesten Meldungen des Onlineformats der größten libanesischen Tageszeitung "an-Nahar" hat die Opposition ihre wichtigsten unmittelbaren politischen Forderungen nach der gewaltsamen Übernahme Westbeiruts durchdrücken können. Am Nachmittag hatte die Regierung Siniora die formellen Ermittlungskompetenzen bezüglich zweier zentraler Streitpunkte an die Armee übergeben. Demnach wird der zu Beginn der Krise geschasste Sicherheitschef des Beiruter Flughafens Wafiq Shuqair vorläufig wieder eingesetzt, wobei die Vorwürfe seitens der Regierung von der Armee untersucht werden. Des Weiteren übernimmt die Armee die kontroverse Überprüfung des internen Kommunikationsnetzes der Hizb Allah. Gleichzeitig wurde versichert, die Integrität des Widerstands gegen Israel nicht zu gefährden.
Auf den ersten Blick scheint die Strategie der Opposition aufgegangen zu sein. Hizbullah ließ die Muskeln spielen und zeigte, dass es in der Lage ist, große Teile der Hauptstadt binnen kürzester Zeit einnehmen und das öffentliche Leben lahmlegen zu können. Wie bereits berichtet ging mit diesem Schritt jedoch ein immenser Vertrauensverlust bei allen nicht-schiitischen Konfessionen einher. Das gebrochene Versprechen, die Waffen niemals gegen Libanesen zu richten, sowie die mutwillige Zerstörung gemeinnütziger Einrichtungen, wie der Hariri-Foundation, wird auch Nasrallahs persönliche Anziehungskraft nachhaltig trüben. Kurz darauf wurden weite Teile des eroberten Terrains der Kontrolle der Armee unterstellt, wodurch man in einem zweiten Schritt demonstrieren wollte, auch ebenso schnell wieder für Ordnung sorgen zu können.
Eben dieser zweite Teil der Strategie scheint jedoch nicht aufzugehen. Während in Westbeirut, bis auf wenige Zwischenfälle, der Rückzug der Milizen relativ geordnet zu verlaufen scheint, entwickeln die Auseinandersetzungen in anderen Landesteilen eine eigene Dynamik. In drei Regionen geraten die Ereignisse langsam aber sicher außer Kontrolle. Im drusischen Kernland des Chouf-Gebirges stießen Hizbullah-Kämpfer erstmals auf ernsthaften Widerstand und mussten die ersten Verluste in ihren Reihen verzeichnen. In diesem Zusammenhang verbreitete der Hizb Allah-Sender Al-Manar die Nachricht, zweier ihrer Kämpfer seien von Jumblatts PSP entführt und exekutiert worden. Ungeachtet der tatsächliche Umstände reichen in dem aufgehitzten Klima bereits Gerüchte, um weitere Vergeltungsaktionen auf beiden Seiten zu provozieren. Während im Chouf die Frontlinien zwischen drusischer PSP und Hizb Allah entlang konfessioneller Grenzen verlaufen, stehen sich in der Bekaa-Ebene und im Norden andere Akteure gegenüber. Um sich für die erlittenen Demütigungen in Westbeirut zu revanchieren haben Anhänger Saad Hariris Mustaqbal-Bewegung in der sunnitisch dominierten Hafenstadt Tripoli die Initiative ergriffen, zahlreiche Checkpoints errichtet und im Gegenzug Einrichtungen der Oppsition verwüstet. Hauptgegener ist in diesem Fall nicht Hizb Allah, sondern die mit ihr verbündete Syrian Social Nationalist Party (SSNP). Diese heute im politischen Leben wenig einflußreiche Partei hat im Zuge der Eskalation die Möglichkeit genutzt auf sich aufmerksam zu machen. Die überkonfessionelle säkuläre Partei, die allerdings in den letzten Jahrzehntenvorwiegend als Miliz in Erscheinung getreten ist, wird von vielen Libanesen als Handlanger Syriens wahrgenommen. Dementsprechend entsetzt reagierten viele Zivilisten, als während der Besetzung Westbeiruts SSNP-Milizionäre Porträts des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad an Regierungsgebäude platzierten. Speziell im Norden, wo mittlerweise die Hälfte aller zivilen Opfer zu beklagen sind, scheint Hizb Allah relativ wenig Einfluss auf die operierenden SSNP-Verbände zu besitzen. Die Tatsache, dass sie sich in der armen nordlibanesischen Provinz Akkar weiterhin heftige Gefechte mit regierungsnahen Milizen liefern, scheint nahe zu legen, dass die Dynamik der Eskalation sich längst nicht so einfach zurückfahren lässt, wie sich die Hizb Allah es vorher ausgemalt hat.

Machtkampf im Libanon - Tag 4

Nachdem die Milizen der libanesischen Opposition Westbeirut unter ihre Kontrolle gebracht haben, greifen die Kämpfe nun auf andere Landesteile über. Im mehrheitlich sunnitischen Region Akkar und in Tripoli lieferten sich offenbar Anhänger der pansyrischen SSNP und der Mustaqbal-Bewegung Kämpfe bei denen mehrere Menschen getötet wurden. In der Nacht sollen in den Chouf-Bergen bis zu sieben Hizbollah-Kämpfer bei Gefechten mit Anhängern der drusischen PSP von Walid Jumblatt ums Leben gekommen sein. Auf seiten der PSP starben zwei demnach 2 Kämpfer.

Beunruhigende Nachrichten kommen auch aus dem Beiruter Stadtteil Tarek Jdeideh. Hier soll der Trauerzug der Beerdigung eines gestern getöteten Mustaqbal-Kämpfers von einem Milizionär der schiitischen Amal beschossen worden sein. Dabei seien 2 Menschen ums Leben gekommen, die Amal, angeführt von Parlamentssprecher Nabih Berri, dementiert jede Beteiligung. Eine derartige Gewalttat hätte eine neue Qualität. Im bisherigen Verlauf der Kämpfe hatten es beide Seiten bislang zumindest nicht vorsätzlich Zivilisten unter Feuer genommen. Angriffe auf Beerdigungen kannte man bislang nur aus dem Irak.

Unterdessen mehren sich die Zeichen, dass das Regierungslager sich in ihrer Konfrontation mit der Hizbollah verspekulierte und die Reaktion der Opposition auf den Beschluss, das Telekommunikationsnetz der Hizbollah lahmzulegen unterschätzte. Nicht zuletzt beging die Regierungsseite offenbar den Fehler, den Beteuerungen der Hizbollah zu glauben, die Waffen niemals gegen andere Libanesen zu richten. Nach Einschätzung des Politologen Asad Abu Khalil fehlte den Mustaqbal-Kämpfern auf seiten der Regierung neben der Erfahrung auch eine Ideologie, für die es sich zu kämpfen lohne.

Die Opposition präsentiert die Einnahme Westbeiruts als eine Kampagne gegen die korrupte Regierung, die ausschließlich amerikanischen Interessen verpflichtet sei. Nachdem die Blockade des Stadtzentrums und Großdemonstrationen keine Erfolg gebracht hätten, habe man nun zu stärkeren Mitteln greifen müssen.

Nachdem die Regierung nun weiter paralyisert wurde stellt sich die Frage, wie ihre internationalen Unterstützer, besonders die USA, Frankreich und Saudi-Arabien auf die Ereignisse reagieren werden. US-Außenministerin Condoleezza Rice versprach der Regierung jede Unterstützung, dennoch scheint es gegenwärtig höchst unwahrscheinlich, dass US-Soldaten in den Libanon geschickt werden. In jedem Fall ist in den letzten Tagen deutlich geworden, dass gegen den Willen der Hizbollah keine wichtige Entscheidung im Libanon getroffen werden kann.

Ministerpräsident Siniora schlug in einer TV-Ansprache heute Nachmittag einen 5-Punkte-Plan vor, der die Umsetzung der jüngsten Regierungsbeschlüsse in die Hände der Armeeführung legt und die Bildung einer Regierung vorsieht, "in der keine Seite der anderen ihre Ansichten aufzwingen kann." Nach jetzigem Stand ist scheint es unwahrscheinlich, dass die Hizbollah sich darauf einlassen wird.

Freitag, 9. Mai 2008

Zur Lage in Beirut

In den letzten 24 Stunden haben die schiitischen Milizen Amal und Hizbollah weite Teile West-Beiruts unter ihre Kontrolle gebracht. Nach stundenlangen Gefechten befinden sich mittlerweile auch viele mehrheitlich von Sunniten bewohnte Gebiete in der Hand der schiitischen Bewegungen. Die Miliz der sunnitischen Mustaqbal-Bewegung von Saad Hariri hat sich mittlerweile offenbar weitgehend zurückgezogen. Mindestens 11 Menschen sind seit gestern bei den Kämpfen getötet worden.

Die Kämpfe hatten sich am gestrigen Abend nach einer Pressekonferenz des Hizbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah verschärft. Dieser hatte darin gesagt, die Regierung habe seiner Bewegung den Krieg erklärt, als sie die Abschaltung des internen Telekommunikationsnetzes der Hizbollah beschloss. Diese sei für die Verteidigung gegen israelische Angriffe jedoch lebensnotwendig. An das Regierungslager gerichtet erklärte Nasrallah: "Wenn Ihr auf einem Krieg besteht, dann werden unsere Reaktionen unberechenbar sein."

Daraufhin brachen in mehreren Stadtteilen heftige Gefechte zwischen bewaffneten Kämpfern der Opposition und der Regierung aus. Wie angekündigt hielt sich die Armee aus diesem inner-libanesischem Konflikt bislang weitgehend raus. Augenzeugen berichten von Heckenschützen auf Häuserdächern und vermummten Kämpfern die zum Teil auf Motorrädern durch die Strassen patroullieren.

Aus den schiitischen Vororten in Südbeirut kommend, brachten Amal und Hizbollah im Laufe der Nacht und der Morgenstunden offenbar Stadtteil für Stadtteil unter ihre Kontrolle. Am Morgen stürmten ihre Kämpfer das zur Büro der zur Mustaqbal-Bewegung gehörenden Zeitung und zwangen ihren TV-Sender Future TV dazu, ihr Programm einzustellen. Auch der zum gleichen Medienunternehmen gehörende Radiosender mit dem schönen Namen al-Sharq ist nicht mehr auf Sendung.

Mittlerweile haben die schiitischen Milizionäre offenbar auch die Privatresidenzen führender Politiker des Regierungslagers, etwa den Palast des wichtigsten sunnitischen Politikers Saad Hariri und des Führers der drusischen PSP Walid Jumblat umstellt. Auch auf den Regierungspalast von Ministerpräsident Fuad Siniora sollen sich die Kämpfer zubewegen.

Während in Westbeirut ein Bürgerkrieg tobt, ist die Lage im mehrheitlich von Christen bewohnten Ostteil der Stadt bislang weitgehend ruhig geblieben. Viele Banken und Geschäfte haben geöffnet. Auch im Südlibanon, dem Libanongebirge und dem Norden des Zedernstaats ist es von kleineren Zwischenfällen abgesehen, nicht zu Kämpfen gekommen. In der Bekaa-Ebene haben sich aber offenbar in der Nacht rivalisierende Gruppen Schusswchsel geliefert.

Abzuwarten bleibt nun, wie sich die Ereignisse in den nächsten Tagen entwicklen werden. Es ist unwahrscheinlich, dass Hizbollah und Amal die von ihnen kontrollierten sunnitischen Wohnviertel dauerhaft besetzen wird. Beide Milizen haben gezeigt, dass die von Saudi-Arabien und den USA in den letzten Jahren üppig finanzierten sunnitischen Gruppen ihnen militärisch derzeit nicht die Stirn bieten können.

Unklar ist derzeit ob und wie die Opposition diesen sich abzeichnenden miltärischen Sieg politisch nutzen kann. Dies wird nicht zuletzt von der Unterstzung der USA und Saudi-Arabiens für die Regierung abhängen und von der Tatsache ob die libanesische Regierung zu einer Rücknahme ihrer Beschlüsse vom Wochenanfang bereit ist.

Unabhängig davon steht der Libanon vor einer äußerst ungewissen Zukunft. Eine stabile Regierung kann es in dem Land nur gegeben, wenn Sunniten wie Schiiten angemessen in selbiger repräsentiert sind. Die Kämpfe der letzten 3 Tage haben den Graben zwischen beiden islamischen Konfessionen im Libanon jedoch weiter vertieft und lassen eine Einigung zwischen den politischen Lagern nach jetzigen Stand fast unmöglich erscheinen.

Mittelfristig könnte sich der inner-muslimische Konflikt für die Hizbollah als schwere Bürde erweisen. Bislang verwies die Bewegung mit Berechtigung und Stolz darauf, ihre Waffen nur gegen Feinde von Außen, nicht aber Libanesen gerichtet zu haben. Dieses Tabu hat die Hizbollah in dieser Woche gebrochen. Auf lange Sicht könnte dies der Reputation Nasrallahs und seiner Bewegung unter libanesischen Sunniten und Christen schweren Schaden zufügen.

Donnerstag, 8. Mai 2008

Straßenkämpfe im Libanon halten an

Die Unruhen im Libanon haben heute ein erstes Todesopfer gefordert. Eine Frau erlag ihren Verletzungen, die sie während eines Schusswechsels im Dorf Sednayel in der Bekaa-Ebene erlitten hatte. Bei weiteren Kämpfen in Beirut wurden seit gestern mehrere Dutzend Menschen verletzt.

Mehr und mehr nehmen die Unruhen die Form eines Konflikts zwischen den beiden muslimischen Konfessionen, den Sunniten und Schiiten, im Libanon an. Während es in den mehrheitlich von Christen und Drusen bewohnten Gebieten des Landes bislang weitgehend ruhig blieb, eskalierte die Lage in den Teilen Beiruts und der Bekaa-Ebene, die von Sunniten und Schiiten gleichermaßen bewohnt werden.

Augenzeugen berichten, dass etwa Anhänger der schiitischen Amal-Bewegung in Beirut Sunniten provozierten. Auch die höchste religiöse Autorität der libanesischen Sunniten, Großmufti Rashid Qabbani, machte deutlich, dass er den Konflikt im Libanon als eine Auseinandersetzung zwischen den Religionsgemeinschaften versteht. "Die Sunniten haben genug.", erklärte Qabbani gestern Abend in einer TV-Ansprache.

Die wichtigsten Verkehrsadern des Landes sind mittlerweile von Oppositionsanhängern blockiert worden. Die Straße, die Beirut mit dem Flughafen verbindet, wurde unpassierbar gemacht, ebenso wie die wichtigste Verbindsungsstraße nach Syrien. Die Bolckierer haben sich mittlerweile offenbar mit Zelten versorgt, was daraufhin deutet, dass die Flughafenstraße auf absehbare Zeit unpassierbar bleiben wird.

Die Hizbollah bezeichnete die Straßenblockaden als den Beginn einer Kampagne des zivilen Ungehorsams, die so lange anhalten werde, bis die Forderungen der Opposition erfüllt seien. Der Unmut der Hizbollah entzündet sich vor allem an zwei Regierungsbeschlüssen der vergangenen Tage. Zum einen erklärte die Regierung, die von der Opposition als illegitim angesehen wird, das interne Telefonnetz der Hizbollah für "illegal und ungesetzlich". Die Hizbollah argumentiert, dass dieses für den Kampf gegen Israels unerlässlich sei und sich die Regierung mit ihrer Entscheidung auf die Seite des Feindes stelle.

Zum Anderen entließ das Kabinett den schiitischen Sicherheitschef des Beiruter Flughafens Wafiq Shuqeir, dem Zusammmenarbeit mit der Hizbollah vorgeworfen wird. Zuvor hatte Walid Jumblatt, führender Politiker des Regierungsbündnisses, die Hizbollah beschuldigt, die Start- und Landebahn des Airports mit Videokameras zu überwachen und Anschläge auf Politiker zu planen.

Angesichts der wachsenden Polarisierung zwischen Sunniten und Schiiten wächst die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg im Libanon. Die Zeitung "al-Akhbar" sieht das Land bereits am "Rande des Chaos". Armee-Chef Michel Sleiman warnte bereits, er werde seine Soldaten in die Kasernen zurückbeordern, sollten die Unruhen weiter um sich greifen. Die Einheit der Armee sei sein wichtigstes Ziel.

Gespannt wartet man nun auf eine Pressekonferenz des Hizbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah, die für 15 Uhr MEZ geplant ist. Es wird erwartet, dass Ministerpräsident Siniora im Laufe des Tages den Ausnahmezustand verhängen wird.

Mittwoch, 7. Mai 2008

Streik und Unruhen im Libanon

In der libanesischen Hauptstadt Beirut liefern sich Anhänger von Opposition und Regierung zur Zeit schwere Gefechte. Oppositionsanhänger haben laut Medienberichten die wichtigsten Zufahrtsstraßen blockiert und ein Büro der sunnitischen Mustaqbal-Bewegung angegriffen. In den Stadtteilen Moussaitbeh und Tareq Jdeideh haben sich Oppositions- und Regierungsanhänger Schießereien geliefert. Bislang ist von 5 Verletzten die Rede.

Für den heutigen Mittwoch hatte ein der Opposition um die schiitische Hizbollah und die stärkste christliche Kraft im Parlament (FPM) nahe stehendes Gewerkschaftsbündnis zu einem Generalstreik aufgerufen. Auch der Libanon erlebt derzeit wie andere Staaten der Nahost-Region, einen rasanten Anstieg der Benzin- und Lebensmittelpreise. Die Wirtschaft leidet unter anderem an der Kopplung des libanesischen Pfund an den US-Dollar, der beständig an Wert verliert.

Eine für heute geplante Demonstration in Beirut wurde von Gewerkschaftsführer Ghassan Ghosn kurzfristig abgesagt, nachdem sich mutmaßliche Anhänger der Mustaqbal-Bewegung mit Ferngläsern und Gewehren auf Häusern entlang der Demonstrationsroute postiert haben sollen.

Der Streik wurde bereits im Vorfeld hochgradig politisch aufegladen und er spiegelt die politische Teilung des Landes wieder, da er etwa von den Bewohnern der Stadt Tripoli, einer sunnitischen Hochburg des Regierungslagers "14. März", ignoriert wurde und sich in erster Linie auf Beirut und die Bekaa-Ebene konzentriert. Michel Aoun, Chef der mit der Hizbollah verbündeten FPM, hatte gestern dazu aufgerufen, mit diesem Streik die Regierung von Ministerpräsident Siniora zu stürzen.

Seit den führen Morgenstunden haben Oppositionsanhänger unter anderem die Straße zwischen dem Beiruter Stadtzentrum und dem Flughafen blockiert. Zahlreiche Flüge nach Beirut mussten daraufhin abgesagt oder umgeleitet werden. Gerüchten zufolge droht die Hizbollah damit, die Flughafenstraße so lange geschlossen zu halten, bis eine "zufriedenstellende Lösung" für die politischen Probleme des Libanon gefunden worden sei.

Dienstag, 6. Mai 2008

Ägypten: Generalstreik am Sonntag gescheitert

Der für den vergangenen Sonntag geplante Generalstreik in Ägypten ist weitgehend ignoriert worden und damit gescheitert. Nach Pressemeldungen und Augenzeugenberichten lief das öffentliche Leben in Kairo unverändert weiter. Kleinere Proteste gab es nur vor dem Gebäude des Anwaltsverbandes, wo etwa 40 Menschen demonstrierten.

Zu dem Streik hatten verschiedene Oppositionsgruppen anlässlich des 80. Geburtstags von Präsident Husni Mubarak am 4. Mai aufgerufen. Der Aufruf wurde hauptsächlich per SMS und im Internet verbreitet. Daher wurde der Streikversuch von einigen als "Facebook-Streit" betitelt.

Am 6. April hatte ein erster Streik in Ägypten für Aufsehen gesorgt. Damals war es in der Industriestadt El Mahalla el Kubra im Nildelta zu schweren Ausschreitungen gekommen, in deren Folge zwei junge Demonstranten getötet wurden. In Kairo blieben größere Proteste zwar aus, allerdings hatten zehlreiche Geschäfte gschlossen und der Verkehr in der Stadt war deutlich ruhiger als an normalen Werktagen. Hunderte Oppositionelle wurden am 6. und 7. April festgenommen, unter ihnen auch der Blogger Karim el-Behirey, der sich noch immer im Gerfängnis befindet.

Um erneute Proteste am Sonntag in Mahalla zu verhindern, wurde Fahrzeugen mit Kairoer Kennzeichen die Zufahrt in die Stadt verwährt, ausländische Journalisten von BBC und al-Jazeera wurden der Stadt verwiesen.

Das Scheitern des Streiks zeigt deutlich, dass Protestaufrufe via Internet in Ländern wie Ägypten kaum breite Wirkung erzielen, wenn sie von den Massenmedien ignoriert und totgeschwiegen werden. Nur 8% der Ägypter nutzen nach jetzigem Stand das Internet, viele von ihnen sind Studenten, deren Streik nur begrenzte Auswirkungen zeigt. Häufig fehlen den Online-Aktivisten zudem Verbindungen zu den Arbeitern, etwa in den Textilwerken von Mahalla, die von der Wirtschaftskrise am härtesten betroffen sind.

Die Proteste enzündeten sich an steigenden Lebensmittelpreisen in Ägypten. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Brot und Reis haben sich seit Jahresanfang nahezu verdoppelt. Präsident Mubarak reagierte auf den wachsenden Druck mit der Ankündigung, die Gehälter für öffentlich Bedienstete um 30% anzuheben. Wie diese Lohnsteigerung finanziert werden soll, verriet der 80-Jährige nicht. Einige Oppositionelle werten schon dieses Zugeständnis des Staatschefs als Erfolg, der unterstreiche, dass Mubarak die Macht der Straße mittlerweile doch fürchte.

Die regierungstreue Presse feierte den seit 1981 regierenden Präsidenten an dessen Geburtstag. Die Zeitung "al-Ahram" bezeichnete den Sonntag als "Tag an dem Ägypten neu geboren wurde".

Montag, 5. Mai 2008

ICG-Berichte zur Lage im Irak

Die International Crisis Group (ICG) analyisert in zwei Berichten die Lage im Irak 5 Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Auswirkungen der "Surge" gelegt, also die Aufstockung der US-Truppen Anfang vergangenen Jahres. Ein erster Bericht untersucht die Folgen der Surge auf die verschiedenen sunnitischen Akteure im Irak, ein zweiter Report befasst sich mit einer möglichen neuen politischen Strategie, die eine dauerhafte Befriedung des Irak erreichen könnte.

Der erste Bericht mit dem Titel "The new Sunni Landscape" erkennt an, dass die Truppenverstärkung eine "signifikante Reduzierung der Gewalt" im Irak erreicht habe. Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die USA wichtige sunnitische Stammesführer in der Provinz Anbar auf ihre Seite gezogen habe. Die gestiegene Zahl der US-Soldaten im Land habe den Druck auf die Sunniten erhöht, stärker mit den USA und der irakischen Regierung zu kooperieren.

Eine wichtige Rolle habe zudem die wachsende Verärgerung der sunnitischen Stämme über al-Qaida im Irak gespielt. Die gestiegene Zahl von Anschlägen gegen Zivilisten und die Ausrufung eines Islamischen Staates im Irak durch al-Qaida hätten schließlich zum Bruch der Stammesführer mit den zum Großteil aus dem Ausland stammenden al-Qaida-Kommandeuren geführt.

Der Bericht warnt jedoch, dass sich die Laune der sunnitischen Führer im Westirak jederzeit ändern könnte. Die Kooperation mit den US-Truppen sei aus taktischen Erwägungen heraus vollzogen worden und spiegele nicht die wirklichen Überzeugungen der sunnitischen Akteure wider. Zudem wird daruaf verwiesen, dass jede Abstimmung bislang mit den US-Truppen im Irak, nicht jedoch mit der Zentralregierung in Bagdad getroffen wurde.

Nach Einschätzung des ICG-Berichts sind die sunnitischen Widerstandsgruppen, die noch im Irak aktiv sind, zwar geschwächt aber nicht besiegt worden. Auch al-Qaida könne mit militärischen Mitteln allein nicht bezwungen werden. Viele irakische Widerstandsgruppen zeigten sich jedoch kriegsmüde und bereit, mit den US-Truppen zu verhandeln.

Der Bericht verweist jedoch auch auf Nachteile und Risiken, die durch die Allianz mit den sunnitischen Stämmen erwachsen sind. Mit der Bewaffnung und finanziellen Unterstützung der Stammesgruppen ist eine militärische Macht gebildet worden, die außerhalb der irakischen Gesetze handelt und ihren Willen mit Hilfe ihrer Waffen Anderen aufzwingen kann. Zudem haben die Stämme in unterschiedlicher Weise von der US-Hilfe profitiert - ein Umstand der in Zukunft zu bewaffneten Auseinandersetzungen innerhalb der irakischen Sunniten führen könnte.

Der zweite Bericht mit dem Titel "The Need for a New Political Strategy" untersucht, inwiefern die Surge dazu beigetragen hat, die verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen und ihre Parteien dazu zu bewegen, die wichtigsten Streitfragen des Landes zu lösen. Die Konflikte entzünden sich dabei an der Frage nach dem Staatsystem (Föderalismus oder Zentralismus), die Verteilung der Öl- und Gaseinnahmen, die Grenzen des autonomen Kudistans und dem Status der Stadt Kirkuk sowie der Frage nach dem Umgang mit ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei.

Der ICG-Report beschinigt den irakischen Politikern auf diesen Feldern nur geringe Fortschritte erzielt zu haben. Noch schwieriger als das Erreichen eines Konsenses im Parlament erweist sich jedoch die konkrete Umsetzung von Gesetzen im Land, da die Zentralregierung über weite Teile des Irak kaum Macht ausüben kann. Derzeit sei die irakische Regierung jedoch weder willens noch in der Lage die Erfolge der Surge politisch zu nutzen.

Abschließend wird die irakische Regierung aufgerufen, bis zum 1. Oktober 2008 freie und faire Kommunalwahlen zu organisieren. Über die offenen Streitfragen müssen ein umfassendes Abkommen zwischen allen wichtigen politischen Akteuren des Irak getroffen werden.

Die US-Regierung sollte die irakische Regierung bei diesen Schritten unterstützen und gleichzeitig Druck ausüben. Zudem sollten die diplomatischen Bemühungen mit den irakischen Nachrbaländern verstärkt werden, namentlich mit Syrien und dem Iran.

UN-Generalsekretär Ban ki-Moon wird aufgefordert, Wahlbeobachter in den Irak zu schicken. Daneben solle er einen Gesandten benennen, der mit irakischen Widerstandsgruppen im Irak verhandeln sollen, al-Qaida ausgenommen.

Freitag, 2. Mai 2008

2 Monate in Kairo - Rueckblick und Ausblick

Zwei Monate in Aegypten gehen in wenigen Stunden fuer mich zu Ende, in wenigen Stunden steige ich ins Flugzeug nach Berlin – Zeit fuer ein paar abschliessende Bemerkungen. Ich gebe zu, der Text ist ziemlich lang geworden, wie immer lohnt sich jedoch das Lesen.:

Zwei Fragen, die ich mir in den letzten Wochen oft gestellt habe war: “Wie lange kann das noch gutgehen? Wie wird es hier in 5 oder 10 Jahren aussehen?” Kairo platzt aus allen Naehten, die Strassen sind schon jetzt hoffnungslos ueberfuellt und noch immer werden Tag fuer Tag tausende neue Autos zugelassen. Viele Haueser wirken marode und drohen zu verfallen und in den zahlreichen Elendsvierteln der Stadt entstehen weiter hunderttausende Haeuser ohne Baugenehmigung und nicht selten ohne Strom, Wasser und Anschluss an die Kanalisation. Auch wenn sich das Bevoelkerungswachstum stetig verlangsamt, steigt die Zahl der Aegypter pro Jahr um etwa 1 Million. Jeder Staat haette Probleme damit umzugehen, Aegypten sieht sich dieser Entwicklung ziemlich hilflos gegenueber.

Jahr fuer Jahr verlassen knapp 400000 Hochschulabsolventen die aegyptischen Universitaeten und stroemen auf den Arbeitsmarkt. Die Folge ist eine aufgeblaehte Buerokratie, die wenigstens einem Teil der Uni-Absolventen einen schlecht bezahlten aber sicheren Job bietet. Dennoch hat man das Gefuehl, dass Aegypten seine Ressourcen und Potentiale verschleudert. So trifft man auf Germanistik-Studenten, die glaenzend Deutsch sprechen und nun als Kellner arbeiten, da sie keinen Job gefunden haben, der ihnen ein Auskommen sichert. Oder man laesst sich von einem Professor der Ain-Shams-Universitaet durch Kairo chauffieren, der am Abend das Taxi seines Cousins faehrt um sein karges Professorengehalt aufzubessern.

Junge Aegypter der Mittel- und Oberschicht, mit denen ich in den vergangenen 2 Monaten gesprochen habe, sind frustriert von der wirtschaftlichen Stagnation ihres Landes, das den Anschluss an die Staaten der Arabischen Halbinsel laengst verloren hat. Die Buerokratie und die grassierende Korruption verschlaengen Milliarden,die wichtigsten Unternehmen des Landes befaenden sich in der Hand weniger Familien mit besten Beziehungen zum Mubarak-Clan und den Anschluss ans Zeitalter von Internet und IT-Technologie habe Aegypten komplett verschlafen. Viele betrachten die letzten Jahre unter Praesident Sadat, dessen Infitah-Politik die Mittelschicht staerkte und in denen nach dem Camp-David-Abkommen amerikanisches Geld nach Aegypten floss, als die Besten und wirtschaftlich Erfolgreichsten der juengeren aegyptischen Geschichte.

Vielleicht gibt es kein besseres Symbol fuer den scheinbaren Stillstand, den Aegypten in den letzten Jahren erlebt, als die Portraits des Praesidenten Husni Mubarak, die einen drahtigen Mann um die 50 zeigen. Am Sonntag feiert Mubarak seinen 80.Geburtstag. Ueber seinen Gesundheitszustand ranken sich viele Geruechte. Journalisten, die ueber diese Geruechte schreiben werden ins Gefaengnis gesteckt. Fest steht jedoch, dass in den naechsten 5 Jahren - wahrscheinlich nach Ende der aktuellen Amtszeit 2011 - ein Nachfolger fuer den seit 1981 herrschenden Rais gefunden werden muss. Derzeit spricht vieles dafuer, dass das “syrische Modell” Anwendung in Aegypten finden wird. So wie 2000 Bashar al-Assad die Nachfolge seines verstorbenen Vaters Hafiz an der Spitze des Staates antrat, duerfte Gamal Mubarak in die Fussstapfen seines Vaters treten, auch wenn derartige Plaene bislang dementiert wurden.

Anlaesslich des Geburtstags von Mubarak haben Oppositionsgruppen erneut zu einem Generalstreik aufgerufen um gegen die steigenden Lebensmittelpreise zu demonstrieren und allgemein ihre Unzufriedenheit mit der Regierung zu artikulieren. Die Brotkrise mag in den naechsten Monaten voruebergehen, sollten die Preise fuer Weizen und Reis wieder fallen, dennoch wartet auf Gamal Mubarak, Jahrgang 1963, ein schwieriges Erbe. Sein Vater antwortete auf wachsenden Unmut gegenueber seinem Regime mit einem praktisch vollstaendigen Abbruch des ohnehin nur sehr halbherzig in die Wege geleiteten Demokratisierungsprozesses, nachdem bei den Parlamentswahlen 2005 die Muslimbrueder trotz massiver Behinderungen ueberraschend stark waren. Vor den Kommunalwahlen am 8. April wurden hunderte Muslimbrueder, die sich fuer die Wahl registrieren lassen wollten, festgenommen. Die Wahlen selbst wurden schliesslich von den Islamisten boykottiert und gerieten zur Farce – nach Angaben unabhaengiger Wahlbeobachter lag die Wahlbeteiligung bei unter 1%.

Bei Wahlen sind die Muslimbrueder, seit 1954 offiziell verboten, auf Grund staatlicher Manipulationen und Behinderungen bislang nicht ueber Achtungserfolge hinausgekommen. Erfolgreicher scheint die Bewegung, bei der von ihr angestrebten Islamisierung der aegyptischen Gesellschaft zu sein. Schon in meinem ersten Beitrag aus Kairo hatte ich darueber geschrieben, dass Aegypten im Vergleich zu Syrien oder dem Libanon (ohnehin ein Sonderfall in der Region) weitaus konservativer erscheint. Dieser Eindruck hat sich in den vergangenen Wochen weiter verfestigt. Im Stadtbild Kairos sind Aufkleber oder Graffiti allgegenwaertig, die mahnen, bei allem Tun und Handeln stets an Gott zu denken und Frauen auffordern sich zu verschleiern. Vielen Aegyptern scheint es zudem enorm wichtig ihre Religioesitaet nach Aussen zu demonstrieren. So schliessen viele Laeden waehrend der Gebetszeiten und die Angestellten beten gemeinsam auf dem Buergersteig. Familien beten gemeinsam in aller Oeffentlickeit, egal ob an der Corniche von Alexandria oder in Parks in Kairo um so ihre Froemmigkeit zur Schau zu stellen.

Ohne Uebertreibung kann man zudem sagen, dass in den meisten Gespraechen mit Aegyptern die Frage nach meinem Glauben direkt auf die Frage nach meiner Herkunft folgte. “Inta Muslim? – Bist du Muslim?”, wollten Taxifahrer, Kinder auf der Strasse, Leute die neben mir im Minibus schwitzten oder Imbissbudenbesitzer in den ersten 30 Sekunden unseres Kennenlernens wissen. Viele gaben sich mit meiner nicht ganz ehrlichen Antwort “Ich bin Christ” zufrieden, andere insisterten und aeusserten ihr Unverstaendnis darueber, dass ich nicht laengst zum Islam konvertiert sei. Nur so sei mir ein Platz im Paradies sicher. In einigen Faellen entwickelten sich daraus ganz interessante Gespraeche ueber Unterschiede zwischen Christentum und Islam oder die Kontroverse um die Muhammad-Karikaturen aus Daenemark. Zweimal wurden die Unterhaltung von Seiten der Aegypten nach einiger Zeit jedoch mit solcher Ernsthaftigkeit und Schaerfe gefuehrt, die das Gespraech nicht laenger zu einem Vergnuegen machten.

Mit meinem Vornamen Christoph konnte ich mich im Uebrigen noch gluecklich schaetzen und Missverstaendnisse vermeiden. Anders erging es meinem Freund Christian in Kairo. Wenn er sich mit den Worten vorstellte: “Ich bin Christian”, kam es vor, dass sein aegyptischer Gespraechspartner antwortete “Angenehm. Ich bin Muslim.”

Donnerstag, 1. Mai 2008

Koptische Osterfeiern in England

Ein Bericht von Daniel aus Manchester:

Nicht nur am Nil, sondern auch in den zahlreichen koptischen Gemeinden außerhalb Ägyptens wurde am vergangenen Wochenende das Osterfest begangen. So auch in Heaton Chapel, einem beschaulichen und eher vornehmen Vorort im Ballungsgebiet von Greater Manchester.

Ein in Ägypten geborener Studienfreund, der an der University of Manchester momentan ein Promotionsstudium absolviert, lud mich ein den Festlichkeiten am orthodoxen Ostersonntag beizuwohnen. Nicht so ganz sicher, was mich erwarten würde, machte ich mich mit Wikipedia-aufgefrischten Basiskenntnissen über die koptische Kirche auf den Weg. Dort angekommen, war ich zunächst überrascht, dass geschätzte 300 Gemeindemitglieder das umgebaute anglikanische Gotteshaus mehr als gefüllt aussehen ließen. In einem Gespräch mit dem Priester, der mir als erste Amtshandlung sogleich die Kirche zeigte, erfuhr ich, dass es im Vereinigten Königreich 15 solcher regionalen Großgemeinden gibt, weshalb auf der Sonntagsmesse Gläubige aus ganz Nordwestengland anwesend waren.

Auffällig war vom ersten Moment an die große Lebendigkeit auf dem gesamten Kirchengelände. Auf dem Hof spielten Kinder in ManUnited Trikots Fussball, während sich die Mütter in der Küche um das Festtagsessen kümmerten und die meisten Männer über ihre Geschäfte redeten. Die ganze Situation erinnerte stark an Szenen die, denen in arabischen Ländern nicht unähnlich sind. So wurde auch die Abendmesse selbst desöfteren durch Kindergeschrei und lautes Gelächter unterbrochen, woran sich aber niemand ernstlich zu stören schien. Auch der Weihrauch, der bei der dreimaligen Umrundung des Kirchenschiffes vom Priester versprüht wurde, kam nicht so recht gegen den verlockenden, aber sehr intensiven Geruch der Moluchiya (eine traditionelle Knoblauchsuppe) an, der wie eine Wolke über dem ganzen Kirchengelände schwebte.

Möglicherweise als Geste der freiwilligen Integration, erklangen die liturgischen Texte und Lieder neben Arabisch, Griechisch und Koptisch auch in Englisch, was für ungeübte Ohren wie die meinen mitunter sehr verwirrend war, da die Sprachwechsel in abrupten Übergängen vonstatten gingen. Wie auch in Christophs Schilderung aus Kairo, saßen Männer und Frauen auf getrennten Seiten, wobei man mir im Nachhinein erklärte die Sitzordnung, wie auch das von den meisten Frauen getragene Kopftuch seien nicht obligatorisch und stark von der Meinung des jeweiligens Gemeindepriesters abhängig.

Den wichtigsten Teil des Abends stellte das gemeinsame Essen dar, wobei ich als unverheirateter Gast sogleich als Kellner angeheuert wurde und ich mir geschickt meinen Weg, beladen mit Tabletts voll von arabischen Köstlichkeiten, durch das übervolle Gemeindehaus, vorbei an allerlei Kinderspielzeug und Fussbällen bahnen musste. Bevor mit dem Essen begonnen wurde, zeigte der überaus technikversierte Priester eine PowerPoint Präsentation, welche die Pilgerreise eines Teils der Gemeinde zu den wichtigsten Klöstern in Ägypten dokumentierte.

Während des Essens erzählten mir einige der Tischnachbarn, ihre jeweilige Lebensgeschichte und was für Gründe es waren, die sie veranlassten ihre ägyptische Heimat zu verlassen. Bemerkenswert fand ich die Aussagen eines in den 70er Jahren emigrierten Geschäftsmannes, der in den Streikversuchen der letzten Wochen, die sich gegen die Erhöhung der Lebensmittelpreise richteten, ein zartes Aufkommen basisdemokratischen Bewusstseins seiner ägyptischen Landsleute zu erkennen glaubt. Nach diesem opulenten und köstlichen Mahl verließ ich die Feier nach gut 4 Stunden mit gefülltem Magen und dem Eindruck, dass sich die koptischen Gläubigen nicht zuletzt wegen der nicht nur theoretisch gewährten Religionsfreiheit in Großbritannien zu Hause fühlen und die Kirche der Ort ist, an dem alte Traditionen konserviert werden.