Freitag, 21. April 2006

Libanon: Der "nationale Dialog" zwischen Anspruch und Realität

Aufrufe zum "nationalen Dialog", zur "nationalen Versöhnung" im Libanon waren in den letzten Monaten oft zu hören. Es sind nicht zuletzt die verantwortlichen Führer der verschiedenen politischen Lager, die immerwieder dazu aufrufen, persönliche Interessen hintanzustellen und für das Wohl des Landes zu arbeiten.

Die von Parlamentspräsident Nabih Berri zu diesem Zweck initiierten Verhandlungsrunden aber entblößen wieder einmal die riesige Lücke, die zwischen heeren Anliegen und politischer Realität klafft. Bis zum 28. April soll über die entscheidenden Punkte auf der Agenda ein Konsens erzielt werden, der zunehmend illusorisch erscheint. Neben derAufklärung des Hariri-Attentates und der Neubestimmung der syrisch-libanesischen Beziehungen entwickelt sich der Kampf ums Präsidentenamt zum großen Zankapfel. Gerade in dieser Frage bezichtigen sich die Kontrahenten gegenseitig lediglich persönliche Interessen zu verfolgen - und bestätigen damit diesen Vorwurf nur noch nachdrücklicher.

Im Fokus steht wieder einmal der notorische General Michel Aoun. Aus seiner geplanten Präsidentschaftskandidatur macht er längst keinen Hehl mehr. Vielmehr denunziert er in gewohnt populistischer Weise seine Gegner und beruft sich auf seine Unterstützung im Volk: "Saad Hariri ist politisch völlig unerfahren. Zudem ist er ein Diktator. Wer 70 % des libanesischenVolkes, die mich unterstützen, ignoriert, ist ein Diktator.", äußerte Aoun erst unlängst gegenüber Al-Jazeera.

Aoun ist bisher der einzige offene Anwärter für das höchste Staatsamt. Sein strategisches Bündnis mit Hizbullah sichert ihm zwar breite Unterstützung, besonders unter den Schiiten, führte aber auch dazu, dass sich die anti-syrischen Kräfte um Saad Hariris Mustaqbal-Bewegung zunehmend vom General distanzieren. Ein Kompromiss erscheint in der derzeit aufgeheizten Atmosphäre kaum in Sicht.

Neben dem inhaltlichen Stillstand bemängeln einige Beobachter allerdings bereits den Charakter der Gespräche selber. So fordert derBeiruter Daily Star in seinem heutigen Editorial beispielsweise eine grundlegene Revision des konfessionalistischen Systems und stellt solchgesinnten Politikern auch das dadurch zu gewinnene Prestige in Aussicht:"Das System kann umgeformt werden und die Beteiligten werden zu einem Kommittee von Gründungsvätern, die das Fundament für die Errichtung der dritten libanesischen Republik legen und eine neue Ära einleiten werden."

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