In den folgenden Tagen wird an dieser Stelle eine im Sommer geschriebene Hausarbeit zur libanesischen Shi´a Stück für Stück veröffentlicht...
I. Einleitung
Als am 18. April 1983 ein schiitischer Selbstmordattentäter mit einem sprengstoffbeladenen Truck in die amerikanische Botschaft in Beirut raste und über 60 Menschen mit in den Tod riss, bekannte sich eine Gruppe zu dem Attentat, die sich als „Islamischer Jihad“ bezeichnete. Die verheerende Attacke, die mit dem Phänomen der Selbstopferung eine neue Form der Gewalt mit sich brachte, sollte eine neue, stark von der Schi´a geprägte Periode des libanesischen Bürgerkriegs einläuten, während der erstmals radikale, libanesisch-schiitische Islamisten in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückten.
Die unverhältnismäßig rasche Transformation der libanesischen Schi´a von einer bis in die 1950er Jahre in sehr geringem Maße politisierten beziehungsweise in säkularen Bewegungen engagierten Konfessionsgemeinschaft zu einer von verschiedenen Formen des Islamismus geprägten Gesellschaft, soll im weiteren Verlauf untersucht werden. Insbesondere stehen die Analyse und die Interpretation der Rahmenbedingungen für das Entstehen von schiitischem Fundamentalismus am Fallbeispiel des Libanon im Vordergrund.
Zunächst ist eine historische Darstellung der sozio-politischen Entwicklung der Schi´a seit der libanesischen Unabhängigkeit 1943 unabdingbar, um die Grundvoraussetzungen für die Genese des schiitisch-libanesischen Islamismus besser verstehen zu können. Dabei bietet sich eine Einteilung in vier Perioden an, die durch bestimmte Persönlichkeiten oder Ereignisse geprägt wurden und jeweils charakteristische Kontinuitäten aufweisen.
Mit der Hizb Allah und der Amal-Bewegung werden anschließend die beiden bekanntesten Vertreter des radikalen Islamismus beziehungsweise des gemäßigten Islamismus in den frühen 80er Jahren gegenübergestellt. In Bezug auf Ideologie, Methoden, Zielsetzungen, Identitäts- und Integrationsweisen sollen sowohl Parallelen als auch signifikante Unterschiede zwischen der Islamischen Bewegung und der Schiitischen Bewegung innerhalb der libanesischen Schi´a herausgearbeitet werden.
Überdies soll untersucht werden, inwieweit theoretische Ansätze, die in der Islamismusforschung angewandt werden, das relativ junge Phänomen des schiitischen Islamismus im Libanon erklären können. An dieser Stelle wird die These aufgestellt, dass die verschiedenen Erklärungsmuster sich ergänzen und in Wechselwirkung zueinander stehen. Die Anwendung eines einzelnen Ansatzes genügt somit nicht, um die Islamisierung und Radikalisierung der libanesischen Schi´a vollständig darlegen zu können.
weiter mit Teil 2
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