Nach dem Besuch im Oktoberkriegs-Museum von Damaskus wollten wir uns selbst ein Bild von den Zerstörungen in der Stadt Qunaitra, etwa 50 Kilometer südwestlich von der syrischen Hauptstadt machen.
Die Stadt liegt innerhalb einer demilitarisierten Zone an der Grenze zwischen Syrien und den israelisch besetzten Golanhöhen. Um dorthin zu gelangen benötigt man eine Genehmigung des syrischen Innenministeriums, die für westliche Ausländer aber leicht zu bekommen ist. Dann fährt man mit dem Microbus in südlicher Richtung, parallel zum Anti-Libanon-Gebirge und dem schneebedeckten Hermon-Massiv Richtung Qunaitra. Etwa 20 Kilometer vor dem Ort passiert man einen ersten Checkpoint. Alle Fahrgäste müssen ihre Ausweise vorzeigen. Die Durchfahrt ist nur Anwohnern sowie Leuten mit der Genehmigung des Innenministeriums erlaubt. Offenbar möchte Syrien ein Auge darauf haben, wer sich in der Grenzregion zu seinem Erzfeind aufhält.
Nach weiteren 15 Kilometern müssen wir den Minibus verlassen. An einer Kreuzung inmitten eines Dorfes steht ein weiterer Militär-Wachtposten und wir werden in eine kleine Baracke gebeten. In dem 4 mal 4 Meter großen Gebäude stehen zwei Doppelstockbetten, ein Schreibtisch, in der Ecke läuft ein schwarz-weißer Fernseher. Vier syrische Soldaten, alle um die 20, mustern uns und nehmen unsere Personalien in einem dicken Buch auf. Nachdem er unsere Daten feinsäuberlich notiert hat fragt ein Soldat: „Aus welchem Land kommt ihr eigentlich?“
Die Soldaten sind sehr freundlich und besorgen uns ein weiteres Fahrzeug, das uns in die verlassen Stadt bringen soll. Unterwegs steigt ein Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes zu, der aufpassen soll, dass wir nicht versehentlich durch Minenfelder stolpern und ansonsten damit beschäftigt ist, möglichst geräuschvoll auszuspucken.
In Qunaitra angekommen sieht man: nichts. Oder besser gesagt man sieht Ruinen über die im laufe der letzten drei Jahrzehnte Gras gewachsen ist, dazwischen Bäume. Bis 1967 zählte die Stadt etwa 30000 Einwohner und war ein bedeutender Handels- und Verkehrsknotenpunkt im Süden Syriens. 1967 wurde die Stadt zusammen mit den Golan-Höhen von Israel erobert und annektiert. Zu Beginn des Oktober/Yom-Kippur-Kriegs 1973 konnte die Stadt kurzzeitig von den Syrern zurückerobert werden bevor Israel Quneitra wieder unter seine Kontrolle brachte. Im Waffenstillstandsabkommen verpflichtete sich Israel, Qunaitra an die Syrer zurückzugeben. Bevor es jedoch dazu kam, zerstörten israelische Panzer und Bulldozer fast die komplette Stadt, inklusive der Moscheen und Kirchen. Dies stellt ein Verbrechen gegen die Genfer Konventionen dar und Israel wurde für sein Verhalten von der UNO in Resolution 3042 verurteilt. Israels Regierung bezeichnete die Resolution als einseitig und erklärte, die Zerstörungen seien allein Folgen syrischen Artilleriebeschusses zwischen 1967 und 73, sowie Folge der Kampfhandlungen während des Oktoberkriegs. Syriens Staatsführung entschied daraufhin, die Stadt nicht wiederaufzubauen, angeblich um es als „Mahnmal gegen den Zionismus“ zu erhalten. Teil der Wahrheit ist wohl auch, dass dem Staat dafür einfach das Geld fehlte und man die Einwohner lieber in Flüchtlingslagern unterbrachte.
In der Tat ist die Stadt heute praktisch menschenleer und Ruine reiht sich an Ruine . Ein Ruinenfeld von mehreren Quadratkilometern Fläche. An vielen Stellen kann man erkennen, dass die Mauern der Häuser zum Einsturz gebracht wurden, wodurch die Hausdächer vollständig auf den Boden krachten. Der Geheimdienstler führt uns am UNO-Stützpunkt vorbei, auf dessen Dachterrasse sich österreichische Blauhelmsoldaten sonnen, zum ehemaligen Krankenhaus vorbei. Die von Einschusslöchern übersäte Ruine begrüßt den Besucher mit den Worten „Zionists turned this hospital into a firing target“ Im Inneren liegt zuhauf Schutt und an den Wänden erkennt man hebräische Schriftzeichen. Ob diese wirklich von den Israelis stammen oder nachträglich angebracht wurden, erschließt sich uns nicht. Von der Terrasse des Hospitals hat man einen atemberaubenden Überblick über den Berg Hermon und die Golanhöhen. Auf deren höchster Erhebung lässt sich unschwer eine große israelische Abhörstation ausmachen. Die Landschaft ist ungleich grüner als um Damaskus herum und man erkennt die strategische Bedeutung der Höhen für beide Seiten.
Anschließend besichtigen wir die Kirche der Stadt. Bis zu ihrer Zerstörung galt das Gotteshaus als eine der bedeutendsten griechisch-orthodoxen Kirchen Syriens. Der Überlieferung nach machte Apostel Paulus auf seinem Weg von Damaskus nach Jerusalem in Qunaitra Station. Im Jahr 2001 besuchte Papst Johannes Paul II auf seiner Reise in den Nahen Osten die Kirche. Die Kirche ist heute kaum noch als solche erkennbar. Nach syrischer Darstellung sind alle wertvollen Gegenstände und Reliquien von den Israelis geraubt worden.
Auch wenn es kitschig klingen mag – als wir die Kirche verlassen plötzlich ein Bild der Hoffnung. Zwischen verrosteten Pantersperren und Ruinen spielen Kinder Fussball.
Dienstag, 14. März 2006
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1 Kommentar:
Sehr gute Arbeit :)
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